Fotos: Tom Kühne

Heuwagen

Sauna für rituelle Praktiken, realisiert 2020 in Mecklenburg- Vorpommern, Loitz, Lange Straße 41, 17121

Die äußere Gestalt des Heuwagens ist eine Wiederherstellung einer sinnbildhaften Erscheinung aus der Vergangenheit.

Wir schauen 50, 100, 500 Jahre zurück und begegnen einem mit Heu hoch beladenen Gefährt.

Was wir sehen, ist ein gewaltige Balanceakt, der ehemals mit Pferden oder Kühen vom Feld zur Scheune bewegt wurde.

Das Einbringen der Ernte vom Felde her entsprach einer formvollen und kraftvollen Fahrt. Sie glich einem festlichen Umzug.

Der bewegte Heuhaufen demonstrierte jedenfalls einen sichtbaren Erfolg getaner Arbeit.

Das Gefährt beschwört also regelecht Erinnerungen. Sie verbleiben aber im Nostalgischen.

Denn den Zwang der Arbeit und Produktion in Verbindung mit dem Heuwagen kennen wir heute nicht mehr.

Was jedoch bleibt, sind zutiefst poetische, sinnbildliche und ausdrucksstarke Motive.

Denken wir nur an das Heuhaufen- Gemälde von dem französischen Maler Monet, das eine so große und immer weiter steigernde Faszination besitzt, so dass es heute zu den teuersten Gemälden der Welt zählt.

Wenn Dinge wieder wiederhergestellt werden, dann aus einem Verlustgefühl heraus, das etwas verloren gegangen ist.

Das bedeutet, dass gegenwärtige Zustände oder Gegenstände gewisse Qualitäten nicht mehr einlösen.

In der Wiederherstellung dieses Heuwagens steckt jedenfalls der Gedanke, ein Gefühl des Verlustes wett zu machen. Es geht um die Idee der Verlebendigung von Verlorenem. Es geht um Identität und Bewahrung. Zumindest um die Anknüpfung und Reflektion, als auch um die Möglichkeit des Beklagens.

Wiederhergestellt wurde beispielsweise die 1942 zerstörte Turmhaube der Rostocker Petri Kirche. Jetzt sticht sie wieder wie eine Akkupunkturnadel in den Himmel. Auch unabhängig von einer religiösen Zuordnung verleiht sie dem Stadtkörper eine energetische Gestalt.

Wiederhergestellt wurde die Dresdner Frauenkirche, um dessen Kuppelbau, einem barocken Mega-Kraftwerk, die Menschen heute wieder kreisen.

Wiederhergestellt wurde ein verfallener ehemaliger Kaufmannshof in Loitz, ein Hofensemble aus restaurierten Fachwerkgebäuden, das den Besucher in eine architektonische Atmosphäre elementarer Schönheit und Harmonie eintauchen lässt.

Wiederhergestellt wird aktuell das Berliner Schloss. Ganz unabhängig von der in diesem Fall umstrittenen Rekonstruktion des Schlosses gibt es einen anderen Aspekt, auf den ich hinaus will. Das Schloss aus dem Jahr 1703 bestand vor allem aus übernommenen römischen Architekturformen. Der Palast Madame in Rom funktionierte hier als Inspirationsquelle und fand sich in vielfach vergrößerter Form in Brandenburg wieder.

Die Übernahme und Integration inspirierender Formen aus einem anderen Kontext ist neben der Wiederherstellung ein weiterer Aspekt des Heuwagenobjektes hinter mir.

Wenn Dinge übernommen, angeeignet und kombiniert werden, oder sich symbiotisch integrieren, dann sind das schöpferische und produktive Vorgänge. So werden Werte erfasst und transformiert, und als Errungenschaften weiter gelebt und fortgesetzt.

Im Sinne einer Inspiration und Übernahme ist nun auch dieser Heuwagen hier zu verstehen. Denn er ist in seiner Wiederherstellung verwandelt.

In das Innere des Heuhaufens ist ein Saunaraum installiert, der die Anwohner, Menschen aus der Umgebung und Zugereisten zum saunieren einlädt.

Die Saunanutzung wurde ausgewählt, weil sie eine sinnlich, seelische Einkehr zu sich selbst, ein tiefes Wohlgefühl ermöglicht und gleichzeitig eine Gemeinschaft herstellt im gemeinsamen Tun.

Für diesen Schwitzraum sind zudem rituelle Handlungen erdacht, um über ein gängiges Saunaerlebnis hinaus eine weit intensivere Selbsterfahrung, sowie ein gemeinschaftsstiftendes Erlebnis zu ermöglichen.

Rituale sind symbolische Handlungen. Sie repräsentieren Werte, Bedeutungen und Ordnungen, die eine Gemeinschaft tragen. Rituale, als auch das Verbundensein durch gemeinsame Symbole sind ein wichtiges Medium, das heute allerdings zusehends verschwindet.

Wir trauen oftmals Ritualen nicht mehr. Sie wurden in der Geschichte ideologisch missbraucht. Und all zu oft sind sie Ausdruck eines leeren Konformismus geworden.

Das Verschwinden der Rituale verweist allerdings auch auf eine zunehmende Vereinzelung der Gesellschaft, auf eine Zerrüttung der psychopolitischen Grundlagen des Zusammenlebens. An der Stelle möchte ich den Philosophen Han zitieren, der den zutreffenden Satz formulierte: „Wir tendieren dazu, objektive Formen zu verwerfen, zugunsten subjektiver Zustände.“

Nur, um als Gesellschaft in den Bezügen fortzubestehen und zu wachsen, braucht es die Erfahrung einer verkörperlichten Verbundenheit, ein verkörperlichtes Wissen und Gedächtnis und Vertrauen, es braucht Abmachungen, soziale Bündnisse auf eine Weise, in der Freiheit und Verbindlichkeit konvergieren.

Ich glaube, wir sind auf rituelle Praktiken, oder man kann auch sagen, auf Körperschaften und Körperinszenierungen angewiesen. Wir müssen sie immer wieder neu mit Werten definieren.

Rituelle Praktiken der verschiedensten Erdteile basieren auf der Verdichtung, Mehrdeutigkeit, Komplexität und Überzeichnung sinnlicher Formen. Es sind sinnliche Ausdruckselemente, wie rhythmische Klänge, synchrone Körperbewegungen, Rauch,- Feuer,- und Lichtspiele, Düfte und Gesänge, Farben und Formen in Tanz und Kleidung.

In der choreografischen Abfolge entsteht Bedeutsamkeit. Menschen werden zu einem gemeinsamen Rhythmus fähig und bilden eine Resonanzgemeinschaft.

In Anlehnung an derartige Verkörperunsprozesse wurde der Saunaraum mit Rudern ausgestattet, die über Blasebalge Orgelpfeifen zum Klingen bringen.

Durch gemeinsam ausgeübte Ruderbewegungen musizieren wir mit den Pfeifen. Dabei können wir auch in Obertönen singen.

All das soll ausschließlich während des Wasseraufgusses passieren, in dem Moment, in dem wir in einen tranceähnlichen Zustand gelangen, ausgelöst durch die Steigerung der Hitze und Feuchtigkeit.

Die Einführung all dieser Elemente in diesem Moment, soll, so die Idee, zu einer tiefen Resonanzerfahrung unter den Beteiligten führen.

Ich hoffe, dass Kräfte freigesetzt werden, die einen Beitrag für den lokalen Zusammenhalt einer lebensfrohen Gemeinschaft leisten.

Der Heuwagen steht hier als ein Versuch für eine Wiederverzauberung der Welt.

Link zur Webseite des Betreibers des Heuwagens  www.ballsaal-tucholski.de

Fotos: Oliver Meline

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